» Manovaha-srotas und psychische Erkrankungen in der ayurvedischen Nosologie

Jahr: 2021
Sprache: Englisch, Deutsch

Das Konzept der Srotas als „Strömungsadern“ im menschlichen Körper stellt einen interessanten Aspekt der klassischen āyurvedischen Theorie dar. In der klassischen Beschreibung (Caraka-Saṃhitā, Kapitel Vi. 5, überschrieben mit Srotovimāna) werden die Srotas als röhrenförmige Strukturen beschrieben, in denen verschiedene körperliche Substanzen fließen. Die klassische Darstellung zählt 11 Srotas-Systeme mit zwei zusätzlichen Srotas-Systemen bei Frauen, nämlich dem weiblichen Genitaltrakt und der weiblichen Brust. Schon ein kursorischer Blick auf die Merkmale der jeweiligen Srotāṃsi (= Plural des Wortes Srotas), insbesondere die Darstellung ihrer Krankheiten, verdeutlicht, dass Srotas eben nicht nur Strukturen sind, sondern dass hier vielmehr eine sehr weite Perspektive auf Struktur und Funktion des menschlichen Organismus zum Ausdruck kommt. Insofern werden Srotas heutzutage häufig auch als „Organsysteme“ verstanden.

Die Manovaha-srotas (wörtlich „geist-tragenden Strömungsadern“) werden nicht unter den elf/ dreizehn klassischen Srotas-Systemen genannt, sondern in den Kapiteln zur Ätiologie und Therapie des Unmāda („Verrücktheit“, heutzutage oft mit „Psychose“ gleichgesetzt) der Caraka-Saṃhitā. Hier spielen sie eine wichtige Rolle im pathophysiologischen Prozess, der zur Manifestation psychischer Erkrankungen führt. Obwohl die Manovaha-srotas als röhrenförmige Strukturen dargestellt werden, stellen wir auch hier fest, dass ein sinnvolles Verständnis nur möglich ist, wenn wir unseren Blickwinkel erweitern. In diesem Vortrag soll verdeutlicht werden, dass das Konzept der Manovaha-srotas zeigt, dass der Āyurveda schon seit ältester Zeit eine sehr weite Perspektive auf psychische Erkrankungen hat: so sind körperliche Erscheinungen genauso bedeutsam wie psychische Symptome, „biologische“ Krankheitsprozesse (hier repräsentiert durch die Schädigung der Manovaha-srotas) werden ebenso betrachtet wie soziale Aspekte und Verhalten. Dieser umfassende Blick auf psychische Erkrankungen dient als Voraussetzung für eine umfassende, im wahrsten Sinne ganzheitliche, Behandlung.