» Yoga als Therapieelement in der Ayurveda-Medizin: Überblick und Beispiel aus der klinischen Praxis

Jahr: 2017

Yoga als Therapieelement in der Ayurveda-Medizin – Überblick und Beispiel aus der klinischen Praxis
Oliver Becker Dipl.-Päd. HP
Ayurveda und Yoga entstammen der vedischen Tradition. Beide Systeme verfolgen dieselbe Zielsetzung, nämlich dem Menschen ein glückliches Leben auf allen Ebenen zu ermöglichen. Ayurveda ist dabei etwas moderater, ja weltlicher ausgerichtet, der yogische Ansatz ist strenger, fokussiert auf die spirituelle Befreiung (mokṣa) des Menschen. Während in der Ayurveda-Medizin primär die Gesundheit des Körpers neben der Berücksichtigung psychischer Elemente im Fokus steht, bildet die Yoga-Tradition eine umfassende Wissenschaft des Geistes mit einer Vielzahl von Ansätzen zur systematischen geistigen Entfaltung.

Seit jeher kommen im Ayurveda eine Vielzahl von Yoga-Elementen sowohl präventiv (svasthavṛtta = Gesunderhaltung) als auch therapeutisch (cikitsā = Therapie) zum Einsatz. Tatsächlich ist kontinuierliche Yoga-Praxis integraler Bestandteil einer ayurvedischen Lebensweise und kann somit eigentlich nicht als Therapieelement bezeichnet werden. So empfiehlt Ayurveda im Rahmen der täglichen Routinemaßnahmen (dinacaryā) die regelmäßige morgendliche Durchführung folgender Yoga-Techniken: jala-neti (yogische Nasenspülung zur Prävention von Problematiken der oberen Atemwege), āsana (Körperübungen), prāṇāyāma (Atemübungen) und dhyāna (Meditation). Diese bilden ein umfassendes tägliches Fitnessprogramm für Körper und Geist.

Darüber hinaus unterstreichen die klassischen ayurvedischen Texte eindringlich die große Bedeutung einer moralisch hochstehenden Lebensweise (sog. ācāra-rasāyana; die Praxis von Werten, die allgemein als gut befunden werden) als Fundament für eine stabile Gesundheit, Empfehlungen, die im Yoga als yama bzw. niyama bezeichnet werden. Die Caraka-saṃhitā (mit der bedeutendste klassische Ayurveda-Text) stellt gar die Anti-Aging-Wirkung solcher Verhaltensweisen wie Nichtverletzung anderer Wesen, Wahrhaftigkeit, Hilfsbereitschaft, Mitgefühl, Selbstbeherrschung etc. heraus.
Vegetarismus bildet ein wichtiges Fundament für eine erfolgreiche Praxis höheren Yogas, das die subtile Entfaltung des Geistes anstrebt. Auch wenn Ayurveda Vegetarismus nicht ausdrücklich propagiert, so sieht Ayurveda eine vegetarische Lebensweise als überaus gesundheitsförderlich an.
Die obigen Beispiele zeigen den hohen Stellenwert, den Ayurveda einer regelmäßigen Yoga-Praxis als Fundament für ein langes, gesundes und glückliches Leben beimisst.
Ayurveda nutzt außerdem das Konzept der individuellen Konstitution (prakṛti). Die geistige Konstitution (mānasa-prakṛti) wird auf Basis der Dominanz der triguṇas (drei Qualitäten = sattva, rajas und tamas) bestimmt. Diese Theorie enstammt dem saṃkhya-System, auf dem auch Yoga basiert.

Krankheitsbehandlung erfolgt in der Ayurveda-Medizin durch eine Synthese rationaler (yuktivyapāśraya), subtiler (daivavyapāśraya) und psychischer (sattvāvajaya) Ansätze.
Vor allem in der ayurvedischen Psychotherapie kommt u.a. das gesamte Instrumentarium des Yoga zum Einsatz, um den Geist des Patienten zu klären und zu tonisieren. Dies soll ein günstiges (sattva-förderndes und rajas-tamas-kontrollierendes) mentales Milieu erzeugen und so die Wirkung anderer psychischer Therapieverfahren verbessern.

Auch bei der Therapie bestimmter chronischer Erkrankungen des Körpers (wie z.B. Diabetes mellitus, Morbus Bechterew, essentielle Hypertonie, Asthma bronchiale etc.) nutzt die Ayurveda-Medizin im Rahmen der rationalen Therapie Techniken des Haṭha-Yoga (āsana und prāṇāyāma). Ihre Anwendung erfolgt allerdings mehr komplementär zur Unterstützung der anderen spezifischen Ayurveda-Therapien wie innere und äußere Reinigungsverfahren, Ernährungs- und Ordnungstherapie sowie medikamentösen Empfehlungen. Besonders die Atemtechniken des Yoga bilden ein effektives ergänzendes Therapiewerkzeug bei einer Vielzahl von Problematiken, v.a. bei Herz-Kreislauferkrankungen, Erkrankungen des Atemtrakts, Stresserkrankungen sowie psychosomatischen und psychischen Problematiken.

Im Workshop werden die oben stehenden Inhalte detaillierter erläutert und schließlich durch ein Beispiel (Patientenfall) aus der klinischen Praxis abgerundet.